Das Auge ist zu schnell für das Gehirn

Schaut man ruckartig auf eine Uhr, so bleibt einen winzigen Moment lang die Zeit stehen – für unser Gehirn.

Denn nach schnellen Augenbewegungen nehmen wir ein neues Bild länger wahr, als wir es tatsächlich sehen. Dieses „Chronostasis“ genannte Phänomen mag mancher schon bemerkt haben. Kommt nicht oft beim Blick auf die Uhr der erste Ruck des Sekundenzeigers „zu spät“ für den Rhythmus?

Englische Forscher haben herausgefunden, dass seine Dauer von der Augenbewegung abhängt, die zuvor gemacht wurde (Nature, Bd. 414, S.302, 2001). Die Wissenschaftler ließen Probanden auf einen Zähler blicken. Obwohl dessen erste Ziffer nur 880 Millisekunden erschien, nahmen die Testpersonen sie nach einer Augendrehung von 22 Grad als eine Sekunde wahr. Das Resümee der Versuche: Wir sehen ein neues Bild um genau so viel länger, wie die Augenbewegung zuvor dauerte. Unsere Zeitwahrnehmung spult quasi auf Start zurück.

„Drei- bis viermal pro Sekunde bewegen wir blitzartig unsere Augen – für das Gehirn viel zu schnell, um die Umwelt klar abzubilden“, erklärt der Psychologe Heiner Deubel von der Universität München. Dadurch entstünden visuelle Lücken im Gehirn, die wieder aufgefüllt werden, indem man danach gesehene Objekte länger wahrnimmt – zum Beispiel eine Uhr. Deubel: „Sonst würden wir die Welt bei jeder Augenbewegung wie wild umherspringen sehen.“

Quelle: Süddeutsche Zeitung, 20.11.2001

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